Kunst aus Afghanistan

Die Ausstellung "Young Kabul Art" in Groß-Karben

 

Natürlich ist es ein Elend. All die Kinder, die sich auf den Straßen und Märkten Kabuls als Brotverkäufer oder Schuhputzer durchschlagen; die, gerade sechs, acht oder zehn Jahre alt, versuchen, der Familie den Vater zu ersetzen, indem sie in der Bäckerei, der Schmiede oder kleinen Werkstätten arbeiten. Was auch sonst, mag man sich angesichts der Fotografien Rahraw Omarzads fragen, könnten diese Bilder aus dem afghanischen Alltag zeigen, als den Versuch der Menschen, in einem geschundenen Land zu überleben? Und doch dokumentieren diese Fotos, liest man in den strahlenden, wachen Kinderaugen, mehr als alles andere vor allem eines: Hoffnung. Sie treffen damit genau jenen Ton, der sich durch die ganze Ausstellung zieht.

 

Erscheint doch allein schon das Zustandekommen von "Young Kabul Art", so der Titel der kleinen Schau, die derzeit im ehemaligen Freimaurerpavillon im Park von Groß-Karben (Parkstraße) sowie einer angrenzenden, zum Ausstellungsraum umgebauten Scheune zu sehen ist, fast wie ein kleines Wunder. An Krieg und Taliban, Opiumbauern und eine traditionelle islamische Gesellschaft mag man beim Stichwort Afghanistan denken. Aber an zeitgenössische Kunst?

 

Der im vergangenen Jahr aus einer Privatinitiative hervorgegangene Verein Leonhardi Kulturprojekte hat diese erste Ausstellung junger afghanischer Künstler außerhalb ihrer Heimat ermöglicht. Sie stellt mit dem 1964 geborenen und von der Malerei kommenden Rahraw Omarzad nicht nur einen mit seinen Porträts und Stilleben überzeugenden Fotokünstler, sondern auch einen der maßgeblichen Protagonisten der überschaubaren, ganz der Gegenwartskunst verpflichteten Kunstszene seines Heimatlandes vor.

 

Seit fünf Jahren gibt er die einzige Kunstzeitschrift des Landes heraus, und mit dem gleichfalls von Omarzad ins Leben gerufenen "Center for Contemporary Art Afghanistan" hat er der jungen Kunst und insbesondere den Künstlern einen Ort gegeben, wo sie lernen, arbeiten und ausstellen können. Die Ergebnisse können sich durchaus sehen lassen. Zwar erscheinen die von Omarzad gemeinsam mit den Studenten entwicklelten Videoarbeiten vornehmlich von der Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen motiviert. Doch letztlich ist es über den Inhalt hinaus doch stets der Wille zur und das sichere Gespür für die künstlerische Form, das Arbeiten wie "From the world of Darkness" oder auch "Close Door" bemerkenswert macht.

 

Ihre Spannung freilich verdankt "Young Kabul Art" nicht zuletzt der Gegenüberstellung dieser im Land selbst entwickelten Positionen mit den Fotografien Zpugmai Zadrans. Zwar stammt auch die 1978 geborene Städelschülerin aus Afghanistan. Doch als in Deutschland aufgewachsene Frau nähert sich die Künstlerin dem ihr fremden kulturellen Kontext von außen und begegnet den Menschen und Motiven mit gänzlich anderem, bisweilen eher distanziertem Blick. Der dokumentarische Charakter, wie er den Porträts Omarzads eigen ist, in Zadrans Bildern tritt er ganz und gar zurück. So weit, daß man angesichts so mancher der in Frankfurt und Kabul aufgenommenen Fotografien kaum zu sagen wüßte, wo sie entstanden sind. Statt dessen zeigen diese Bilder jenseits der Motive: den künstlerischen Blick.

 

CHRISTOPH SCHÜTTE

Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.07.2006, Nr. 154, S. 55