Variationen der Ausweglosigkeit
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 12.09.2012, Nr. 213, S. 38
Für das Ausstellungsprojekt "The Rotting Husk" in Groß Karben haben sich drei Städelschüler zusammengetan.
Von Benoît Wolff
Wer einen Irrgarten betritt, sucht den Ausgang und entscheidet dabei scheinbar frei, welchen Weg er einschlägt. Zugleich folgt er einem Pfad, den ein anderer schon vorgezeichnet hat. Die Wahlfreiheit des Herumirrenden ist nicht absolut. Er hat nur die Option, den einen richtigen Ausweg zu finden. Diesem Thema widmet der Kunstverein Leonhardi Kulturprojekte in Groß Karben die Schau "The Rotting Husk", was so viel bedeutet wie faulende Maiskolbenhülle. Zu sehen sind Arbeiten der Städelschüler und Städelschul-Absolventen Julia Feyrer aus Kanada, Nate Hess aus dem amerikanischen Tucson und Erik Lavesson aus Uppsala. Mit einem Buch, einer Videoinstallation und einer Skulptur, die inhaltlich zusammenhängen, versuchen die Künstler, die Grenzen menschlicher Entscheidungsfreiheit zu zeigen.
Den Auftakt macht Feyrers und Lavessons Buch mit dem Titel "The Rotting Husk". Die Künstlerin, die von Simon Starling ausgebildet wurde, und Douglas Gordons Schüler liefern mit dem Werk eine eigenwillige Interpretation der sogenannten Spielbücher, die in den achtziger und neunziger Jahren des vorigen Jahrhunderts populär waren. Darin übernimmt der Leser die Rolle eines Titelhelden und wählt zwischen alternativen Handlungsabläufen. Wie im Labyrinth sind diese Wege vorbestimmt: Der Leser kann sich entscheiden, wie er will. Das Buch endet, wie es der Autor intendiert hat. Feyrers und Lavessons Werk ist denn auch gekennzeichnet durch eine pessimistische Grundstimmung. Immer wieder stößt der Leser auf Beschreibungen enger Räume und albtraumartiger Szenen, auf Bilder von Teufelsfratzen oder von befremdlichen Wohnzimmern. Letztlich führt es ihn auf Seite eins zurück. Der Titel des Buches ist ein Anagramm von "The Knight's Tour", was wiederum ein Schachproblem bezeichnet: Mit dem Springer - der Figur mit der größten Bewegungsfreiheit - versucht ein Spieler, alle 64 Felder exakt einmal zu besetzen. Dabei bewegt sich der Springer nur bedingt frei - und im Kreis. Die Draufsicht der dabei zurückgelegten Strecke haben Feyrer und Lavesson in Form eines Zickzack-Musters stilisiert. Um Ausweglosigkeit und begrenzte Freiheit dreht sich auch die Videoinstallation der beiden Künstler. Was sich im Buch aber noch in unbestimmten Räumen abspielt, wird jetzt auf eine konkrete Lebenssituation übertragen. In einer abgedunkelten Kammer verfolgt der Betrachter auf drei Leinwänden den Weg einer Frau durch einen leerstehenden kanadischen Sozialbau. Immer wieder flackert hinter einer Wegbiegung ein rotes Exit-Zeichen auf, ohne dass die Umherirrende je ins Freie gelangt. Nach einigen Minuten beginnt der Film von vorn. Die Botschaft der Videoinstallation ähnelt der des Buches: Auch ein soziales Labyrinth ist wie ein Gefängnis, aus dem man mit eigenen Entscheidungen nicht hinausfindet.
Den Rundgang der Frau, die in diesem Video zu sehen ist, bildet das Aluminiumgebilde von Starling-Schüler Nate Hess ab. Mit der dreidimensionalen Gestaltung ihres Wegs sprengt es die zweidimensionale Enge des Kurzfilms. Sein Bruch mit der Video-Installation ist radikaler als Feyrers und Lavessons darin betriebenes Spiel mit dem Buch. Hess macht einen beherzten Schwenk von der beklemmenden Knight's Tour zu dem Neuanfang, den "The Rotting Husk" versinnbildlicht. Unterdessen trägt auch die Skulptur das Zickzack-Motiv der Knight's Tour und damit die Spuren des Alten in sich. Motivisch knüpft Hess also an seine Vorgänger an; wie der Leser des Buches und die Frau im Video kehrt er zum Anfang zurück. Schade, dass er keinen radikaleren Bruch mit seinen Vorgängern wagt. So sind die drei Werke allzu ähnlich in ihrer Aussage und versteifen sich auf die in ihren Labyrinthen herrschende Auswegs- und Alternativlosigkeit.
Die Ausstellung im Burghof, Burg-Gräfenröder-Straße 2, Groß Karben, ist bis zum 30. September samstags und sonntags von 16 bis 20 Uhr und nach Vereinbarung unter Telefon 01 76/47 58 94 63 geöffnet.
Bildunterschrift: Künstlerische Schachzüge: Der Beitrag von Nate Hess zum Ausstellungsprojekt "The Rotting Husk"
Wie Abstraktion aus dem Abstrakten Humor herauskitzelt
Spiel mit Realität und Fiktion: Künstlerin Amalia Barboza baut im Groß-Karbener Burghof ihre Ausstellung auf und zeigt Requisiten ihrer verfremdeten Dokumentarfilme wie das Haus mit Tieren. Kleines Bild: Diese Fahnen ziehen sich durch ihr Werk. Fotos: Pfeiffer-Goldmann Spiel mit Realität und Fiktion: Künstlerin Amalia Barboza baut im Groß-Karbener Burghof ihre Ausstellung auf und zeigt Requisiten ihrer verfremdeten Dokumentarfilme wie das Haus mit Tieren. Kleines Bild: Diese Fahnen ziehen sich durch ihr Werk.
Von Dennis Pfeiffer-Goldmann
Das Schloss von Leonhardi in Groß-Karben wird ab Samstag wieder zum Ausstellungssaal. Einen Monat lang stellt die argentinische Künstlerin Amalia Barboza aus – verfremdete Dokumentarfilme als Videokunst und die Requisiten dazu.
Karben. Eine Frau schneidet unentwegt Brot, Tiere hoppeln durchs Wohnzimmer. Verwirrend wirkt, was der Betrachter im Dokumentarfilm sieht. Das ist gewollt. Künstlerin Amalia Barboza wandelt zwischen Realität und Fiktion.
Programm zur Buchmesse
Ihre Realität ist derzeit der Schlosshof Groß-Karben. Dort baut sie ihre Ausstellung Casa Ocupada auf, spanisch für «besetztes Haus». Ein Roman des argentinischen Schriftstellers Julio Cortazar heißt so. In der Geschichte lässt er ein unbekanntes Wesen ein Haus besetzen, bis die Bewohner das Anwesen verlassen.
Phantastisch wie bei Kafka ist die Idee im Buch ebenso wie bei der Kunst von Amalia Barboza. Ihre Videoinstallationen kommen als Dokumentation über Architektur der Moderne daher. Doch lässt sie eben Tiere hoppeln, Zirkustrapeze schwingen oder die Künstlerin selbst und ihr erst neun Monate altes Baby tauchen auf. Die Strenge der Moderne wolle sie mit den fiktiven Elementen durchbrechen, sagt die Argentinierin. «Hier werden zwei Welten vermischt, die in einem Widerspruch zu einander stehen.» Ergebnis ist der anfangs überraschte, dann massiv schmunzelnde Betrachter.
Vier ihrer Dokumentarfilme zeigt die 38-Jährige in Groß-Karben im kleinen Ausstellungsraum von Schlossherr Philipp von Leonhardi. Rundherum hat sie Requisiten aus ihren Filmen drappiert. Mit diesen Kulissen, mit der Videokamera und dem Animationsprogramm am Computer entstehen so binnen rund drei Monaten die am Ende nur wenige Minuten kurzen Werke.
Erstmals öffnet Schlossherr von Leonhardi zusammen mit Kuratorin Felicia Herrschaft den Burghof für eine Einzelausstellung. Sie durchbrechen ihre Reihe von Künstlern aus «verletzten Gesellschaften» in aller Herren Länder. «Eigentlich erwarten die Besucher, dass sie bei uns die Katastrophen der Welt erklärt bekommen», räumt von Leonhardi ein. «Jetzt ist das ein völlig eigenständiges Projekt.» Mit der Ausstellung platziert sich der Burghof erneut als Ort der Kunst im Rhein-Main-Gebiet: Die Schau ist offizieller Teil des Begleitprogramms der Frankfurter Buchmesse (6. bis 10. Oktober).
Wie wohnt sich’s oben?
Schicksal liegt auch hinter Amalia Barboza: Im Alter von fünf Jahren flohen ihre Eltern mit ihr vor der Militärdiktatur aus Argentinien nach Spanien. Seit 2005 lebt die Künstlerin in Frankfurt, ist an der Uni tätig. Ihr Fachgebiet schlägt bei der promovierten Soziologin in die Kunst durch: In einem Video zeigt sie, wie sich Menschen (real) in Dachwohnungen eingerichtet haben. Dabei ist der Film selbst Inspiration: Er entstand, weil Barboza eine Idee fehlte, wie sie eine Ausstellung in einem Dachgeschossraum bestücken sollte. Das Ergebnis: der Betrachter staunt und schmunzelt.
Casa Ocupada, Ausstellung von Amalia Barboza im Burghof von Leonhardi in Groß-Karben, Burg-Gräfenröder Straße 2. Geöffnet bis 7. November samstags und sonntags 14 bis 18 Uhr. Vernissage diesen Samstag (2. Oktober) ab 16 Uhr.
Artikel vom 30. September 2010, 03.23 Uhr (letzte Änderung 30. September 2010, 05.10 Uhr) Kunst aus China
Ressort: Rhein-Main-Zeitung Frankfurter Allgemeine Zeitung, 02.10.2009, Nr. 229, S. 57
Kurz & klein
Na also, die Chinesen kommen. Nicht nur zur kurz bevorstehenden Buchmesse, nicht nur in die Schirn, die mit dem "Hof für die Pachteinnahme" gerade "Kunst für Millionen" zeigt, sondern auch in die freien Kunsträume der Region. Wenn nun Leonhardi Kulturprojekte in Karben unter dem Titel "Double Happiness" zehn bildende Künstler unterschiedlicher Disziplinen eingeladen hat, geht es weniger um die in Deutschland so beliebten Glückskekse oder die gleichnamige chinesische Zigarettenmarke. Das gemeinsame Thema der Arbeiten ist vielmehr die Auseinandersetzung mit der spezifischen Form des chinesischen Kapitalismus. Eröffnet wird die Schau am 10. Oktober um 19 Uhr im Karbener Burghof, anschließend ist sie bis 15. November zu sehen.
schü.
Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Doppeltes Glück in Rot und Weiß
CHINA-AUSSTELLUNG
Während sich in Frankfurt die chinesische Literatur präsentiert, zeigen Künstler aus dem Reich der Mitte in Karben ihre Werke. Von Michael Hörskens
Frankfurter Rundschau, 12.10.2009
Eine außergewöhnliche Kunst-Ausstellung mit dem Titel "Double Happiness" ist jetzt in Karben gestartet worden. In der Galerie des Kunstvereins "Leonhardi Kulturprojekte" im Burghof geben chinesische Künstlerinnen und Künstler aus Schanghai, Kanton und Peking noch bis zum 15. November einen Einblick in die Kunstszene im Reich der Mitte. Vor dem Hintergrund der Frankfurter Buchmesse mit China als Gastland setzen sich die Werke mit dem chinesischen Kommu-nismus und der spezifischen Form des Kapitalismus in dem Land auseinander.
"Wir zeigen hier das Spannungsbild auf zwischen der Kommerzialisierung der Gesellschaft und einem traditionellen Wertesystem", erläutert Philipp von Leonhardi, Mitinitiator der Ausstellung und sagt weiter zur Thematik: "Double Happiness ist zum einen der Name einer populären Zigarettenmarke in China, der Begriff weist aber auch symbolisch auf das doppelte Glücklichsein einer Eheschließung hin."
Das Eingangstor zu den Räumen der Galerie wurde von der Künstlerin Ni Jun gestaltet. Es bildet das chinesische Schriftzeichen für Double Happiness, ist in roter und weißer Farbe bemalt und über zwei Wege begehbar. "Rot ist in China traditionell die symbolische Farbe für Glück und eigentlich nicht die der Arbeiterbewe-gung", erklärt die Künstlerin. Sie will das alte Wertesystem wieder ins Bewusstsein rücken. Läuft man durch das Tor, so erklingen Glöckchen, die den Moment des Glücklichseins unterstreichen.
Eine alte Tradition zeigt auch Xue Liu. Im Reich der Mitte ist es in bestimmten Regionen üblich, zur Erlangung des Glücks Fische zu kaufen und sie zu befreien. Dies ist auch bei der Schau in Karben möglich, der Künstler nennt dies: "Futter ist es nicht: Double Happiness".
Hua He wiederum ist beeinflusst von einer kosmologischen Theorie. Sie will einen Blick von weit oben auf die Erde symbolisieren, verteilt Perlen auf dem Fußboden. "Die Perlen können von den Besu-chern weggekickt werden, sie können sich aber auch vorstellen, dass dies menschliche Siedlungen sind und sie dann ganz anders behandeln und sortieren", erklärt die Künstlerin.
Videofilm zeigt Arbeitswelt
Zhou Tao und Xu Zhen präsentieren in Karben Video-Kunst. Ein Film zeigt etwa das streng geregelte Leben in der Arbeitswelt Chinas. Da werden zum Start in den Tag in Betrieben militärische Zeremonien praktiziert, welche die Dynamik des Kommunismus demonstrieren sollen. Dagegen bewegen sich in einem anderen Video-Clip zwei Tänzer in rot- sowie grün-getupftem Outfit mitten auf einer Straße und verkörpern die Farben einer Ampel. Sie wollen mit ihrer Performance den Wunsch nach Individualität ausdrücken.
Das einzige Gemälde der Ausstellung stammt von Zang Enli und zeigt eine Zigarettenschachtel der Marke Double Happiness. Das Werk erinnert an die Kunstrichtung Pop-Art, fast schon mit Warhol´schen Zügen.
"Adler und Madeleines" Kunst aus Serbien und dem Kosovo in Karben
KULTUR, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.10.2007, Nr. 250, S. 58, von Christoph Schütte
"Und mit einem Mal war die Erinnerung da." An Tante Leonie und ihren Lindenblütentee, an den Geschmack der Madeleines und die Sonntage in Combray. Auch Ana Adamovic hat offensichtlich ihren Proust gelesen. Nur liegt ihr Combray an der Adria, zeigen die farbstichigen Super-8-Aufnahmen Sommer, Sonne und Strandvergnügen aus den noch unbeschwerten siebziger Jahren, und das Gebäck, dessen Duft Adamovics Arbeit zu beseelen scheint und dessen Name die ganze Ausstellung zusammenhält, sind die im ehemaligen Jugoslawien jedem Kind bekannten "Plazma"-Kekse. Und doch, so scheint es angesichts der Schau bei Leonhardi Kulturprojekte in Karben, sind nicht wenige der zwölf jungen Künstler aus Serbien und dem Kosovo mit ihren Arbeiten auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Das gilt für Adamovics "Madelen" ebenso wie für das Video "Grandmother" des 1985 geborenen Kader Muzaqi. Vor allem aber zeigt die mit Unterstützung der Hessischen Kulturstiftung eingerichtete Ausstellung, dass Träume und Ängste ebenso wie die Wahrnehmung der Gegenwart hier wie dort so verschieden nicht sind.
Zwar ahnt man angesichts von Luzlim Zeqiris "33X" oder Alban Mujas "Prime Minister" durchaus, aus welchem Teil des im Krieg untergegangenen Jugoslawiens die Künstler jeweils stammen. Viele der vorgestellten Positionen sind ohne ihren Entstehungskontext nicht zu denken. Doch damit hat es sich. Fotoarbeiten wie Milica Ruzicics "Ecstasy Pills" mit dem Hakenkreuz, dem albanischen Doppeladler oder dem nationalistischen serbischen Kreuz als Logo auf der modernen Partydroge können sich trotz der eindeutigen Bezüge auch jenseits des Kontexts behaupten. Für die Arbeiten Jakup Ferris, eines der bekanntesten jungen Zeichner des Kosovo, gilt das ohnehin. Seine Videoarbeiten, die ziemlich komisch Identität und Selbstverständnis eines jungen Künstlers in performanceartigen Szenen zu fassen versuchen, könnten genauso gut in Frankfurt entstanden sein. Mit Tomislav Stanko Vukic ist es nicht zuletzt ein am Main heimisch gewordener Künstler, dessen Installation neugierig macht auf weitere Arbeiten des 1976 in Novi Sad geborenen Städelschülers.
"Der Riss", von Hortense Pisano
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19.07.2007, Nr. 165, S. 44
Leonhardi sei Dank: Treffen serbischer und kosovarischer Künstler
"To be a Künstler, you have to arbeiten." Seit Ankunft in der kosovarischen Hauptstadt Prishtina sind erst wenige Stunden vergangen. Jeder Eindruck seit dem Abflug in Frankfurt schreibt sich gravierend ins Bewusstsein ein. Und so fällt dieser auf einem kleinen Papier im Kunstraum "Rhizome" stehende Satz sofort auf. Übersetzt man diese Babel-Aussage aus der Feder des albanischen Künstlers Dren Maliqi, wird daraus ein Programm: "Künstler zu sein heißt arbeiten." Fünf Tage und Nächte arbeiteten und lebten Künstler aus Prishtina abgeschirmt im Ausstellungsraum. Figurative Malerei, expressiv und schrill, sowie markante Zeichnungen von Jakub Ferri verschmelzen nun auf den schwarzen Wänden. Eine Black Box nicht nur für Videokunst, vor allem international wenig bekannte Maler aus dem Kosovo gedenke man im "Rhizome Space" auszustellen. Für Mehmet Behluli ist die neu gegründete lokale Plattform ein Erfolg. Zumal die einzige Galerie Exit in Peja nach Ablauf des Projektes Relations 2006 schließen musste. Doch spiegelt der fensterlose "Rhizome Space" auch die Isolation der Kunstszene in Prishtina wider.
Nach wie vor sind Reisen ins Ausland für die seit 1999 unter dem Protektorat der Vereinten Nationen stehenden Kosovoalbaner nur mit Visa möglich. Dass Serbien die Pässe der UN-Behörde "Unmik" nicht anerkennt, erschwert das Reisen zusätzlich. Trotz der weiterhin angespannten Lage zwischen dem nach Unabhängigkeit strebenden Kosovo und Serbien regte ein von Frankfurter Kulturschaffenden, Felicia Herrschaft und Philipp von Leonhardi, geleiteter Workshop in Prishtina zum Austausch an. Wie man sicher in den Kosovo einreist, beschäftigte vorab die elf serbischen Workshopteilnehmer. Die Gruppe aus größtenteils jungen Künstlern zwischen 20 und 30 Jahren entschied sich für die beschwerlichere Anfahrt mit dem Bus. Doch als die ersten Künstlerinnen und Kuratoren aus Belgrad und Novi Sad in Prishtina ankommen, stehen sie irritiert am Busbahnhof. Ihre Handys funktionieren nicht, die Kommunikation wurde buchstäblich unterbrochen.
Entsprechend reserviert und nervös war die Atmosphäre zu Workshopbeginn in der "Kosovo Art Gallery". Auch erwies sich das Thema "Reenacting" (wiederholen, neu inszenieren) als schwierige Ausgangsbasis. Zwar beschäftigt sowohl die jungen Künstler im Kosovo wie in Serbien dezidiert der kulturelle Riss durch den Balkan als Folge der Kriege. Während aber Reenacting die Rekonstruktion historischer Ereignisse meint, ging die vorgestellte Kunst über diese reine Dokumentation hinaus. Schien Alban Mujas Video "Agreement" eine alltägliche Verabredung zwischen Freunden im Café wiederzugeben, machte der englische Untertitel das Scheitern des auf Albanisch und Kroatisch geführten Gesprächs zwischen zwei Künstlern bewusst. Die Protagonisten redeten aneinander vorbei, eine ironische Anspielung des Künstlers auf das sowohl politische als auch verbale Verständigungsproblem zwischen den Menschen im ehemaligen Jugoslawien.
Die serbische Künstlerin Milica Ruzicic ging mit ihrem öffentlichen Raum-Projekt provokant einen Schritt weiter als ihr Kollege. In Belgrad hatte Ruzicic etliche Passanten mit einer Polaroidkamera fotografiert. Anschließend konnten alle Mitwirkenden die Porträts auf einer Litfaßsäule mit Sprachstempeln versehen. Ein Tor, wer glaubt, die Akteure schreckten öffentlich zurück, sich gegenseitig mit rassistischen Sprüchen abzustempeln. Wie sensibilisiert ist die Bevölkerung auf dem Balkan gegenüber ihrer jüngsten Geschichte?
Bereits am ersten Abend hatte die spanische Kuratorin und Frankfurter Kunstvereins-Leiterin Chus Martínez die Workshopteilnehmer aus der Reserve gelockt, indem sie eine Parallele zur spanischen Kunstszene und deren Vakuum unter der Franco-Diktatur zog. Statt auf die Zeit nach der Unabhängigkeit im Kosovo zu warten, schlug sie den Künstlern vor, gemeinsam nach neuen Inhalten zu suchen und auch die eigene Verwendung von Sprache neu zu überdenken.
Oft erweisen sich aber schon einfachste Zutaten, wie sie der Frankfurter Städelschüler Tomislav Vukic in einer abschließenden Performance-Installation aus Licht, Eis und verschiedenen Getränken mixte, als die besten Katalysatoren für einen kommunikativen Austausch. Insgesamt war es spannend mitzuerleben, dass sich in Prishtina gerade sehr lebendig unterschiedliche Ausstellungsstrukturen und Räume herausbilden. Den Organisatoren des Workshops, Herrschaft und Leonhardi, gelang es, die jungen Akteure in Prishtina erstmals zusammenzuführen. Eine Ausstellung im Kunstraum Leonhardi Kulturprojekte in Karben mit Arbeiten der Workshopteilnehmer ist schon geplant und eine Fortführung des Workshops im Oktober 2007 in Belgrad.
"Heldensport", von Konstanze Crüwell
Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27.04.2007, Nr. 98, S. 62
Zeitgenössische Kunst aus Teheran in Karben
In orientalisch gemusterten Turnhosen, sonst aber unbekleidet, trainieren einige
stattliche Herren mittleren Alters beim sogenannten Sport der Helden im Teheraner "Haus der Kraft", der Zurkaneh, mit Ketten, Holzschilden und schweren Keulen. Heldenhafte
Gesinnung und spirituelle Reinheit sollen durch diese althergebrachten Rituale gefördert werden, die von Trommelwirbeln, frommen Gesängen und Lesungen aus heroischen Dichtungen begleitet sind.
Eine selbstverständlich reine Männerveranstaltung, zu der Frauen der Zutritt streng verwehrt ist. Gleichwohl ist es Maraneh Atashi, einer 1980 geborenen Künstlerin, gelungen, die traditionellen Kampfsportübungen in einer "Bodiless" genannten Serie von suggestiven Farbaufnahmen festzuhalten.
Ihre Fotos sind mit 30 Arbeiten weiterer iranischer Künstler auf einer DVD der Reihe Treibsand enthalten, die derzeit unter dem Titel "In der Warteschlaufe - Zeitgenössische Kunst aus Teheran" im Ausstellungsraum der Leonhardi-Kulturprojekte im Burghof Karben
(Karben Burg, Gräfenroder Straße 2) vorgeführt werden. Es handelt sich um
künstlerische Filme, Videos, Fotos und um theoretische Beiträge, die von der bekannten iranischen Künstlerin Parastou Forouhar, die seit Jahren in Deutschland lebt, und der Schweizer Kunsthistorikerin Susann Wintsch nach ausführlichen Recherchen im Iran 2005 und 2006 zusammengestellt wurden.
Bei ihren Recherchen, die sie am Ende der Reformzeit unter Chatami unternahmen, fiel den beiden Kuratorinnen auf, dass viele Künstler in Iran auf etwas Unbestimmtes zu warten schienen. Forouhar und Wintsch gewannen zudem den Eindruck, dass die zeitgenössische iranische Kunstszene außerhalb der "ornamentalen Ordnung", also der traditionellen Kunstproduktion ihres Landes, zu einer eigenständigen Ästhetik gefunden habe. Auch stellten sie fest, dass die jungen Künstler mit den künstlerischen Ausdrucksformen des Westens heute ebenso umgehen können wie mit der iranischen Zensurpolitik.
Das Video von Rozita Sharaf Jahen, die zusammen mit ihrem Mann die Tehran Azad Gallery, eine der lebendigsten iranischen Galerien, betreibt, zeigt Bäume und Gras und Himmel: die schwindelerregenden Blicke einer Frau von einer Kinderschaukel aus. "Depression" ist der Titel der Arbeit, deren beunruhigende Wirkung durch die Geräusche der klirrenden Ketten verstärkt wird. In ihrem 2005 entstandenen Video "Monologues Under White Light", einer der eindringlichsten Arbeiten, stellt uns die 1980 in Teheran geborene Künstlerin Samira Eskandarfar ein junges Paar vor, das sich in unheimlichen Räumen zwischen Absurdität und Wirklichkeit sehr seltsam bewegt und unterhält.
Dagegen wirkt "The Room", eine Videoanimation von Hamed Sahihi, der eine lesende Frau samt ihrem Sessel in die Höhe schweben lässt, während der bunte Teppich, anders als im Märchen, am Boden liegen bleibt, geradezu gemütlich. Von Parastou Forouhar selbst stammt die Arbeit "Ich ergebe mich": An schwarzen Schnüren hängen mit Helium gefüllte Ballons, auf denen Miniaturzeichnungen zu sehen sind.
Die Ausstellung "In der Warteschlaufe - Zeitgenössische Kunst aus Teheran" ist bis 20. Mai, Samstag und Sonntag von 14 bis 18 Uhr im Ausstellungsraum der Leonhardi Kulturprojekte im Burghof Karben (Karben Burg, Gräfenroder Straße 2) zu sehen. Die DVD mit Textbuch kostet 40 Euro.
Frankfurter Neue Presse, Nordausgabe vom 27.09.2006, Seite 3, Lokales:
Der Kosovo in Karben
Karben. „Vorstellen und Ausstellen von Positionen ist uns sehr wichtig“, erklärt Philipp von Leonhardi. Das ist dem Schlossbesitzer aus Groß-Karben und der Kuratorin Felicia Herrschaft mit der zweiten Ausstellung „Kosovo: Unbestimmte Rituale“ aus der Reihe „Verletzte Gesellschaften“ der Leonhardi-Kulturprojekte gelungen. Zur Eröffnung kamen rund 50 Besucher, um die Bilder der sechs Künstler aus dem Kosovo zu betrachten.
Alban Muja hat für seine geteilte Heimatstadt Mitrovica ein „Museum of contemporary History“ entworfen, weil er den Ort seiner Kindheit nicht mehr betreten darf. Der in Deutschland wohnende Driton Hajredini dagegen benutzt in all seinen Werken ein Symbol: Den Koffer. Für ihn bedeutet dieser Krieg, Traurigkeit aber auch Freude und Neuanfang. In seinen Koffern befindet sich seine ganze Lebensgeschichte und die seines Landes. In seiner Videoperformance „Sin“ stellt er einem katholischen Priester im Beichtstuhl die Frage: „Ist es eine Sünde, als Albaner im Kosovo geboren zu sein?“ Eine der Antworten lautet: „Es könnte eine Bestrafung sein“. Als 1991 die Universität, auf der Hajredini studierte, von der Polizei geschlossen wurde, ging er erstmals nach Deutschland. Jetzt studiert er an der Kunstakademie in Münster.
Zake Prelvukaj, Dozentin an der Fakultät der Künste in Prishtina, beschäftigt sich mit der zwiespältigen Haltung des Kosovo zur Demokratie. Für ihre Werke ist sie international mehrmals prämiert worden. Ihr Bild „Stop me before I Stop you“ sollte nach einer Vorführung vor einem Rat der Vereinten Nationen verboten werden. Es zeigt einen hervorstehenden Mittelfinger auf schwarzem Hintergrund. „In der modernen Kunst sind die Werte heruntergegangen, genau wie in der Demokratie“, übersetzt der Hip-Hop Produzent Ilir Osmani Iliros für seine Freundin. Das möchte sie demonstrieren.
Mit dem in Deutschland tätigen Schriftsteller Beqe Cufaj und dem aus New York zugeschalteten Sislej Xhafa diskutierten die Künstler über die politischen Probleme im Kosovo und darüber, warum die bildenden Künstler international so erfolgreich sind, die Schriftsteller aber nicht. Das könnte daran liegen, sagt von Leonhardi, dass viele der Künstler aus ihrer Heimat vertrieben wurden, sich aber trotzdem stark in ihrer Heimat für Sozialprojekte engagieren. (jeh)
Die Ausstellung Kosovo: Unbestimmte Rituale ist heute (Mittwoch) von 14 bis 18 Uhr in der Kunsthalle in der Burggräfenröderstraße 2 in Groß-Karben und nach Vereinbarung bis zum 29. Oktober geöffnet. Informationen unter (01 76) 62 00 68 67 und im Internet unter www.leonhardikulturprojekte.org
Frankfurter Neue Presse, Nordausgabe vom 23.09.2006, Seite 3, Lokales
Kunst aus dem Kosovo in Karben
Karben. Seine persönliche Geschichte, die seiner Familie, seines Landes spiegelt Driton Hajredini in seinen bis zu zwei Meter großen Bildern wieder. Koffer in Öl gemalt, voll gestopft mit alten Fotografien, mit Büchern, die ihn inspiriert haben. Auf zwei grünen Gepäckstücken wirft eine schwarze Amsel ihren Schatten. „Kosovo bedeutet Amselfeld“, erklärt Hajredini. Darstellen möchte er damit die Vertreibung aus seinem Heimatland Kosovo. Mit fünf weiteren Künstlern seiner Heimat stellt er seine Arbeiten ab morgen (Sonntag) unter dem Titel „Unbestimmte Rituale“ in der zur Kunsthalle umgebauten Scheune im Burghof der Familie Leonhardi in Groß-Karben aus. Es ist die zweite Ausstellung der Reihe „Verletzte Gesellschaften“ der Organisation Leonhardi Kulturprojekte, die von Philipp von Leonhardi 2005 ins Leben gerufen wurde. Die Unbestimmtheit des Landes sei es, die sich in den Arbeiten der Künstler widerspiegelt, erklärt Kuratorin Felicia Herrschaft. Neben in Öl gemalten Werken zeigt Zake Prelvukaj, Dozentin an der Fakultät für Künste in Prishtina, auch Abdrücke ihres Körpers und Bilder, die die ambivalente Haltung des Kosovo zur Demokratie zeigen. In Videoperformances wird ein Gespräch von Hajredini mit einem Priester in einem Beichtstuhl den Zuschauer zum Nachdenken anregen. Der Musiker Iliros beschallt die Ausstellung mit „Vorschlägen an deutsche Musiker“. Um 16 Uhr sind die Besucher zu einer Diskussion eingeladen. Live aus New York zugeschaltet wird der international tätige Künstler Sislej Xhafa. (jeh)
Eröffnung der Ausstellung morgen (Sonntag) ab 14 Uhr. Diskussionsforum im Internet unter www.leonhardikulturprojekte.org
Frankfurter Rundschau v. 21.09.2006, S.31, Ausgabe: R Region
Ausstellung: Kosovarische Künstler zeigen ihre Arbeiten
Karben • Von Montag, 25. September, bis zum 29. Oktober zeigt "Leonhardi Kulturprojekte" die Ausstellung "Unbestimmte Rituale" mit Arbeiten von Florian Agalliu, Alban Muja, Driton Hajredini, Iliros, Zake Prelvukaj, Adrian Williams und Sislej Xhafa. Sämtlich Künstler stammen aus dem Kosovo, der immer noch auf der Suche nach seiner staatlichen Identität ist. Flucht und Vertreibung prägen die Erfahrungen dieser jungen Künstler.
Während der Ausstellungseröffnung am Sonntag, 24. September, 14 Uhr, wird Beqe Cufaj einen Einführungsvortrag halten über seinen jüngsten Besuch in Prishtina: " Was bedeutet, es zwei Häuser neben dem Haus des Präsidenten zu wohnen?" In Deutschland ist er durch Bücher wie "Kosova Rückkehr" und "Der Glanz der Fremde" bekannt geworden. Adrian Williams wird Fotoarbeiten aus Prishtina präsentieren und die "Contemporary Arts Library" in Prishtina vorstellen. bsc
Die Ausstellung im Burghof, Burggräfenröderstraße 2, ist mittwochs von 14 bis 18 Uhr zu sehen.
Kultur Frankfurter Allgemeine Zeitung, 06.07.2006, Nr. 154, S. 55
Kunst aus Afghanistan
Die Ausstellung "Young Kabul Art" in Groß-Karben
Natürlich ist es ein Elend. All die Kinder, die sich auf den Straßen und Märkten Kabuls als Brotverkäufer oder Schuhputzer durchschlagen; die, gerade sechs, acht oder zehn Jahre alt, versuchen, der Familie den Vater zu ersetzen, indem sie in der Bäckerei, der Schmiede oder kleinen Werkstätten arbeiten. Was auch sonst, mag man sich angesichts der Fotografien Rahraw Omarzads fragen, könnten diese Bilder aus dem afghanischen Alltag zeigen, als den Versuch der Menschen, in einem geschundenen Land zu überleben? Und doch dokumentieren diese Fotos, liest man in den strahlenden, wachen Kinderaugen, mehr als alles andere vor allem eines: Hoffnung. Sie treffen damit genau jenen Ton, der sich durch die ganze Ausstellung zieht.
Erscheint doch allein schon das Zustandekommen von "Young Kabul Art", so der Titel der kleinen Schau, die derzeit im ehemaligen Freimaurerpavillon im Park von Groß-Karben (Parkstraße) sowie einer angrenzenden, zum Ausstellungsraum umgebauten Scheune zu sehen ist, fast wie ein kleines Wunder. An Krieg und Taliban, Opiumbauern und eine traditionelle islamische Gesellschaft mag man beim Stichwort Afghanistan denken. Aber an zeitgenössische Kunst?
Der im vergangenen Jahr aus einer Privatinitiative hervorgegangene Verein Leonhardi Kulturprojekte hat diese erste Ausstellung junger afghanischer Künstler außerhalb ihrer Heimat ermöglicht. Sie stellt mit dem 1964 geborenen und von der Malerei kommenden Rahraw Omarzad nicht nur einen mit seinen Porträts und Stilleben überzeugenden Fotokünstler, sondern auch einen der maßgeblichen Protagonisten der überschaubaren, ganz der Gegenwartskunst verpflichteten Kunstszene seines Heimatlandes vor.
Seit fünf Jahren gibt er die einzige Kunstzeitschrift des Landes heraus, und mit dem gleichfalls von Omarzad ins Leben gerufenen "Center for Contemporary Art Afghanistan" hat er der jungen Kunst und insbesondere den Künstlern einen Ort gegeben, wo sie lernen, arbeiten und ausstellen können. Die Ergebnisse können sich durchaus sehen lassen. Zwar erscheinen die von Omarzad gemeinsam mit den Studenten entwicklelten Videoarbeiten vornehmlich von der Auseinandersetzung mit aktuellen gesellschaftlichen Fragen motiviert. Doch letztlich ist es über den Inhalt hinaus doch stets der Wille zur und das sichere Gespür für die künstlerische Form, das Arbeiten wie "From the world of Darkness" oder auch "Close Door" bemerkenswert macht.
Ihre Spannung freilich verdankt "Young Kabul Art" nicht zuletzt der Gegenüberstellung dieser im Land selbst entwickelten Positionen mit den Fotografien Zpugmai Zadrans. Zwar stammt auch die 1978 geborene Städelschülerin aus Afghanistan. Doch als in Deutschland aufgewachsene Frau nähert sich die Künstlerin dem ihr fremden kulturellen Kontext von außen und begegnet den Menschen und Motiven mit gänzlich anderem, bisweilen eher distanziertem Blick. Der dokumentarische Charakter, wie er den Porträts Omarzads eigen ist, in Zadrans Bildern tritt er ganz und gar zurück. So weit, daß man angesichts so mancher der in Frankfurt und Kabul aufgenommenen Fotografien kaum zu sagen wüßte, wo sie entstanden sind. Statt dessen zeigen diese Bilder jenseits der Motive: den künstlerischen Blick.
CHRISTOPH SCHÜTTE
Die Ausstellung im Park Groß-Karben ist bis 25. Juli Donnerstag bis Sonntag von 11 bis 18 Uhr geöffnet. Um Anmeldung unter 01 76/62 00 68 67 oder unter info@leonhardikulturprojekte.org wird gebeten.
Bildunterschrift: Afghanischer Alltag: Junge auf dem Markt.
Foto Rahraw Omarzad
Alle Rechte vorbehalten. (c) F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fotos zeigen eine verletzte GesellschaftFrankfurter Rundschau v. 21.06.2006, S.37, Ausgabe: R Region
Erstmals Werke zweier afghanischer Künstler im Leonhardischen Schlosspark zu sehen / Weitere Ausstellungen sind geplant
Mit "Young Kabul Art", den Werken afghanischer Foto- und Videokünstler, möchten die Leonhardi Kulturprojekte e. V. eine Kunstausstellungsreihe unter dem Titel "Verletzte Gesellschaften" begründen. Dabei werden beeindruckende Einblicke in die afghanische Gesellschaft eröffnet.
Karben · Fast meint man, die frische Farbe noch riechen zu können. Sowohl das Freimaurergebäude im Leonhardischen Schlosspark als auch der zur Galerie umgebaute Gang in einem Nebengebäude des Hofs sind für die Kulturprojekte renoviert worden. Dabei sieht man besonders in der improvisierten Galerie, dass der Gang mit einfachsten Mitteln umgenutzt wurde.
Der afghanische Künstler Rahraw Omarzad ermutigte Philipp von Leonhardi , die Galerie in diesem provisorischen Zustand zu nutzen, da so eine kleine Verbindung zu den Lebens- und Arbeitsbedingungen in Afghanistan entsteht. An den Längswänden des Ganges sind Fotografien Omarzads aus dem afghanischen Alltag zu sehen. Viele davon zeigen Kinder, vor allem Jungen bei der Arbeit. Omarzad betont, dass viele Jungen bereits im Kindesalter für das Familieneinkommen verantwortlich sind.
Das Überleben sichern
Felicia Herrschaft von den Leonhardi Kulturprojekten betont, dass man sich hüten sollte, diese Situation einfach unter dem Schlagwort Kinderarbeit zu beschreiben. Entscheidend sei, dass diese Arbeit oft die einzige Überlebensmöglichkeit für die Familien darstellt. In Videodokumentationen von Performances werden aktuelle Fragen der afghanischen Gesellschaft diskutiert. So beschäftigt sich ein Werk mit der Unfreiheit der Frauen, symbolisiert durch die Burka und ein besticktes schwarzes Tuch. Die Frauen sind nach Meinung der Künstler nicht zur Selbstbefreiung in der Lage.
Auch in dem Freimaurergebäude im Park werden die Videos gezeigt. An den Wänden, die vor die historisch bemalten Mauern gestellt wurden, sind die Fotos von Zpugmai Zadran zu sehen. In Porträts zeigt sie die Anmut der afghanischen Menschen. Fotografieren in Afghanistan war für sie wesentlich schwieriger als für Omarzad. "Ich hätte mich nicht frei auf dem Basar bewegen können und losfotografieren. Da wäre ich aufgefallen, das sollte man nicht tun. Man hätte sich als Westler geoutet und das ist gefährlich in Afghanistan", beschreibt sie die Arbeitsbedingungen. Dabei spielte weniger eine Rolle, dass sie eine Frau ist. Entscheidender ist, dass sie allein schon durch ihre Art, sich zu bewegen, sich als Mensch aus Westeuropa zu erkennen gibt. Grundsätzlich sei es aber unproblematischer, Frauen als Männer zu fotografieren.
Zadran, die 1978 geboren wurde, lebt seit 1980 in Deutschland und studiert an der Städelschule in Frankfurt. Die Fotografien entstanden 2005 bei einer Afghanistanreise.
Philipp von Leonhardi bedauert, dass es nicht möglich war, einige der afghanischen Künstler nach Deutschland zu holen, aber auch diese Schwierigkeiten sagen etwas über die Situation der Afghanen. Der Ausstellung "Young Kabul Art" sollen weitere unter dem Motto "Verletzte Gesellschaften" folgen, schließlich habe man sich in Deutschland durch die Nachkriegszeit eine gewisse Kompetenz bei diesem Thema und dem Umgang mit Betroffenen erworben. zax
Kabuls neue Kunst im Blick
Von Jennifer Hein
Frankfurter Neue Presse, 20.06.06
Karben. Zwischen Schutt und Dreck stehen zwei Kinder in zerlumpten Kleidern, mit schmutzigen Gesichtern und unterschiedlichen Schuhen an den Füßen – aber sie lachen, ihre Augen strahlen regelrecht in die Kamera. Diese und andere Fotografien und Videos von Rahraw Omarzad aus Afghanistan und Zpugmai Zadran aus Frankfurt haben am Wochenende bei der ersten Kunstausstellung der Leonhardi-Kunstprojekte im Degenfeldschen Schloss in Groß-Karben die Betrachter stark berührt. Ein Kulturaustausch der besonderen Art: von Kabul nach Karben.
„Die Stimmung im Land haben sie gut eingefangen“, sagt der Ausstellungsbesucher Daniel Häret aus Karben. „Die Folgen des Krieges sind alltäglich“, das werde deutlich. Gerade die beiden lachenden Kinder haben seine Freundin Katinka Krug tief ergriffen. „Kinder, die Verantwortung übernehmen und trotzdem so unbeschwert sind“, habe sie in dieser Form noch nicht gesehen. Die Künstler fingen beinahe alltägliche Situationen ein, die wie aus dem Leben gegriffen schienen.
Die Ausstellung „Young Kabul Art“ thematisiert unter dem Titel „Verletzte Gesellschaften“ die zivilgesellschaftlichen und demokratisierenden Prozesse in Afghanistan. In zwei malerischen Ausstellungsräumen –in der Kapelle der Leonhardis im Park und einer umgebauten Scheune im Schlosshof – bestaunten bei der Eröffnung der Ausstellung rund 50 Interessierte die Kunst aus Kabul. Die sehr unterschiedlichen Videoperformances ließen die Zuschauer in den Kabuler Alltag eintauchen oder bestachen mit dem gezielten Einsatz von Licht und Farbe: Männer und Kinder bei der Arbeit, verschleierte Frauen, deren Augen nur durch ein dickes Netz aus Stoff zu sehen sind oder mehrere Hände und Arme, die an einem Kunstwerk arbeiten.
Der Name Rahraw bedeutet „einen bestimmten Weg einschlagen, auf Reisen gehen“. Deshalb ließ sich der Künstler aus Kabul passend dazu etwas Besonderes einfallen: In die Wegbeschreibung von der Kapelle zum zweiten Ausstellungsraum im Schloss arbeitete er seinen Namen als Wegweiser ein. Alle, die an dem „R“ entlang gingen, fanden schließlich ihr Ziel.
Rahraw Omarzad, geboren 1964 in Kabul, ist der Gründer des „Center for Contemporary Art Afghanistan“ und Herausgeber des landesweit einzigen Kunstmagazins „Gahnama-e-Hunar“. Erstmals zeigt er „das traurige Erwachen der eigenen Stadt oder Kinder, die zum Vater ihrer eigenen Familie werden“ außerhalb Afghanistans. Zpugmai Zadran kam 1978 in Kabul zur Welt, ist in Deutschland aufgewachsen und studiert an der Städelschule in Frankfurt. In den Momentaufnhmen ihrer Heimat präsentieren sich „Männer, die ihre Weiblichkeit oder mit Gewehren posieren, Frauen, die selbstbewusst auftreten und den Schleier verbergen“.
Die Leonhardi-Kulturprojekte wurden von Philipp von Leonhardi 2005 in Frankfurt gegründet. Der gemeinnützige Verein sucht den kulturellen Dialog mit „Post-Conflict-Ländern“ wie Afghanistan, Kosovo und dem Iran. Kulturelle Toleranz, transnationale Verbreitung der Kultur und die Pflege des Kulturerbes sollen die kulturelle Integration bestärken.
LINKS
Indefinite Rituals on e-flux
Young Kabul Art on e-flux
Kunstaspekte
|